Nackenschutz 2.2 – die Entwicklung geht weiter
Im Frühjahr 2005 ist Nackenschutz in Österreich bestenfalls erst ein Randthema gewesen. Nur wenige Rider sind mit mehr oder weniger großen Halskrausen enduristisch unterwegs gewesen. Die ersten „Leatt Brace“ Träger sind bisweilen hinter der Hand auch belächelt worden. Mittlerweile sind Nackenschutzsysteme Teil der Szene im Fahrerlager. Die Entwicklung geht weiter. Das vorläufige Ende der Fahnenstange markiert momentan Ortema. Ein Zwischenbericht….
Mit einer Hiobsbotschaft hat das Thema „Nackenschutz“ Anfang 2005 schlagartig Breitenwirkung erlangt. Damals war der legendäre Fabrizio Meoni bei der elften Etappe der „Rallye Dakar“ brutal gestürzt und mit einem Genickbruch unrettbar liegen geblieben. Der Schock saß tief, der Spitzensport hat rasch reagiert. Bei der „Orient Rallye“ ist Cyril Despres damals bereits mit dem X-Neck von Ortema unterwegs gewesen. Ein Zwischenschritt – in der Folge hat sich das vom Südafrikaner Chris Leatt entwickelte System durchgesetzt. Es war auch Einstieg für die Entwicklungen anderer Hersteller.
„Ich bin froh, dass sich mehrere Hersteller des Themas angenommen haben. Nur so gibt es eine vernüftige Weiterentwicklung in diesem so sensiblen Bereich.“ Das sagt Heinz Kinigadner, der sich mit „Wings for Life“ ausführlich den schwerwiegendsten Sturz-Folgen unseres Sports gewidmet hat.
Der Nackenschutz hat sich durchgesetzt: Links Chris Birch bei der Romaniacs. Rechts zwei Rider bei der ACC in Mattighofen 2009.
Das aktuell ausgereifteste System hat der deutsche Ortopädie-Technik-Spezialist Ortema vor etwa drei Jahren zur Marktreife gebracht. Das Ortema-Neck-Brace (ONB). Es umgeht im Grunde zwei „Bruch“-Stellen, die bei anderen Nackenschutz-Systemen schlagend werden können. Da sie zumeist am Rückgrat aufliegen, sind bei entsprechender Belastung Wirbelverletzungen möglich. Sehr verletzungsanfällig bleibt bei vielen massiven Nackenschutzsystemen auch das Schlüsselbein: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die sehr harten Konstruktionen anderer Systeme bei manchen Stürzen am Rand wie ein Hebel wirken können“, sagt Ortema-Geschäftsführer Hartmut Semsch: „Beim ONB achten wir darauf, dass das Schlüsselbein frei liegt. Auch reduziert das bedingt verformbare Kunstoff-Material des ONB die Gefahr einer Schlüsselbeinverletzung.“
Das Ortema-Neck-Brace: Auffällig der Rückenteil, der nicht am Rückgrat aufliegt.
Die größte sichtbare Weiterentwicklung in punkto Nackenschutz hat Ortema aber zweifellos geleistet, indem das ONB nicht mehr zentral auf der Wirbelsäule aufliegt. Sondern auf den Schulterblättern: „Das Schulterblatt ist ein flächiger Knochen. Darunter liegen Muskeln, die im Falle eines Sturzes ein weiterer Schutz sind. Und darunter liegen wiederrum die Rippen – wie ein Lattenrost. Das wirkt noch einmal als Dämpfung.“ Und wenn’s hart auf hart geht, ist ein gebrochenes Schulterblatt allemal leichter zu (er)tragen, als jegliche Verletzung der Wirbelsäule.
IG.G-Rider Lars Enöckl mit dem ONB beim "Hell's Gate": "Leichter und kaum zu spüren."
Den Elch-Test auf der Piste hat IG-Gatsch-Rider Lars Enöckl schon vor einiger Zeit absolviert. Seitdem ist er mit dem ONB unterwegs: „Es ist sehr leicht und beeinträchtigt mich überhaupt nicht. In der Mitte ist eine Art Scharnier. Daher kann ich den Kopf noch problemloser vor und zurück bewegen.“ Mit 349 Euro bleibt das ONB preislich im erwartbaren Rahmen.
Blick von hinten oben: Das ONB dockt an den Schulterblättern an.
Das Ortema-Neck-Brace ist mit 360 bis ca. 400 Gramm insgesamt leichter als vergleichbare Systeme. Das verwendete Material auf Polyethylen-Basis ist weicher als z.B. Carbon, dadurch verformt es sich bei einem Sturz, die Energie des Aufpralls wird nicht ungefiltert an den Körper weitergegeben: „Wir wandeln die Schlag-Energie in Verformungs-Energie um“, sagt Hartmut Semsch. Aufgrund des Memory-Effekts nimmt das ONB danach wieder seine ursprüngliche Form an. Nach ganz schweren Schlag-Impulsen kann man das ONB im Werk überprüfen lassen.
Es bleibt ein Risikosport. Der Nackenschutz reduziert die Gefahr signifikant.
Angeheizt auch durch die Konkurrenz der verschiedenen Hersteller, wird die Entwicklung zweifellos noch weitergehen. Man verstehe die Biomechanik bei Stürzen immer besser, sagt Hartmut Semsch. Auch durch die Rückmeldungen der Rider komme man in Details stetig voran.
Einige große Fragen bleiben aber noch offen. Heinz Kinigadner hofft, dass man auch hier bald eine praktikable Lösung findet: „Wenn man ziemlich gerade mit dem Kopf voraus einschlägt, so gibt es einen Kompressionsbruch, der die Hauptursache von Querschnittsverletzungen darstellt. Und da hilft im Moment leider auch kein noch so guter Nackenschutz. Dennoch: Mit einem Nackenschutz kann man Querschnittslähmungen um 20 bis 30 Prozent reduzieren. Und das ist Grund genug, einen Nackenschutz zu verwenden.“ (c. panny)